Kids Club
entnommen aus Delax' Kolumne
Heya! Es ist Sonntag Morgen und ich fühle mich in Artikellaune.
Immer und immer wieder treffe ich sie. Im Chat, in Mails, in Newslettern, auf Webseiten... gemeint sind die Art User, die ich "Computer-Kiddies" nenne.
An dieser Stelle erst mal eine Definition. Unter Computer-Kiddie verstehe ich eine Person, die sich rund um den Rechner wie ein Kind verhält. Sie tönt große Sprüche, glaubt aufgrund völlig absurder Annahmen, alles zu wissen und zu können, hat nur populär / kommerzielle Magazine als Informationsquelle und sie hält sich gerne in Gruppen auf. Alles in allem ist es so, als würde man in einer Grund- bzw. Förderstufe auf den Schulhof gehen, wenn gerade Pause ist.
Hier noch einmal eine kurze Pause. Ich sage nicht, daß dieses Phänomen erst seit kurzem existiert. Egoversessene User gab es immer und wird es immer geben, doch dadurch, daß Computer immer mehr Massenware werden, können immer mehr User in Bereiche vorstoßen, die vorher einer kleinen Szene vorbehalten waren. Das stört mich nicht wirklich. Frisches Blut und neue Ideen sind für jede Szene von Vorteil (vielleicht mal abgesehen von der katholischen Kirche). Was mich aber stört, ist das Auftreten dieser Kiddies.
Ein Beispiel aus der Praxis: Hätte ich mich vor ein paar Jahren in #coders oder #trax eingeloggt und vom Stapel gelassen, daß ich der Beste wäre und alles andere nur Flaschen... meine Güte! Sicher, so Leute gab es auch, aber genau deshalb weiß ich: Die Leute wurden, wenn sie Glück hatten nur ausgelacht. Sicher, aufmüpfige Newbies waren wir fast alle mal, aber so weit ich mich erinnere lief das doch so ab, daß wir Respekt vor den "Älteren" hatten. Oder wir nutzten unseren "Disrespekt" in dem wir sie in einem Contest fair und ehrlich von der Platte und aus den Charts putzten.
Eventuell lesen ein paar Leute diesen Text, die auch schon ein paar Jahre dabei sind. Erinnern wir uns zurück und schauen nach, ob der obere Absatz stimmt... Ich finde: Nein, aber ja! Die Erklärung ist meiner Meinung nach diese: Es GAB diese nervenden Subjekte schon früher, aber sie waren zahlenmäßig den ernsten Usern weit unterlegen. Dies lag wohl daran, daß Computer noch den Status "Was für Freaks" hatten und man schon ein bisschen was drauf haben musste, um überhaupt in das IRC oder die BBSi zu kommen. Heute? Bin ich schon drin? 5 Minuten - Ende. Und schon ist eine Flut von Kiddies, Newbies, Oldies, Eltern und sonstigen Leuten im Anmarsch, die früher nicht mal im Traum daran gedacht hätten, sich in ein Netzwerk einzuloggen!
Die Masse machts! Ein Spruch, der sich nicht nur im Infanteriekampf bewahrheitet, sondern auch in diesem Fall. Doch es kommt noch mehr hinzu. Dadurch, daß die Computer von heute mit einem "modernen" Betriebssystem daherkommen, für das alle möglichen Programme erscheinen, welche die Aufgaben von Früher scheinbar mit einem Mausklick erledigen. Ich sage scheinbar, weil sich das bei näherem hinsehen als unwahr herausstellt. Ein paar Beispiele :
War Musikbearbeitung früher aufwendig, so ist sie das heute nicht mehr. Aber stellen wir mal gegenüber: Tracker z.B. sind komplexe Programme mit einem riesigen Umfang. Je besser man diesen Umfang beherrscht, desto besser wird die Musik. Man hat Kontrolle über jeden Parameter seiner Musik. Magix Music Maker. Hier gilt ähnliches, aber was passiert hier im Endeffekt? Man hängt Vorgefertigtes zusammen, klatscht ein paar Samples dazu, die das Programm für einen übernimmt. Aus. Oha, man kann mit dem MMM auch gute Musik machen, keine Frage, aber es ist verfürerisch, die Features unter den Tisch zu kehren und lieber Samples zu kleben.
Grafikbearbeitung. Dutzende Kiddies haben sich 3D Studio gestohlen und stehen nun davor. Aber wie oft haben sie nicht die Geduld, sich hineinzuarbeiten? In der Demoszene tauchten plötzlich gescannte Bilder statt Handarbeit auf. Photoshop hat fast jeder schon mal gestohlen, aber nutzte man auch nur einen Bruchteil aus? Blödsinn.
Hacken. Winnuke. Netbus. Und damit glauben die Kids, hacken zu können. Sie nutzen damit doch nur die Möglichkeiten anderer. Im Prinzip nichts dagegen, haben früher auch Leute gemacht. Aber dann behauptet doch nicht, es selbst zu können! Seht der Wahrheit ins Auge! Ihr seid Techniker, Doppelklicker, Script-Kiddies!
Programmierung. Mit Visual Basic wollen die Kids alles machen. Sicher - ist wohl einfacher, als C oder Asm, aber dann glaubt nicht, daß ihr effektiv programmieren könnt. Klar programmiert ihr "stash" von TBL nach, nur läuft das dann mit 9fps und hat eine Größe von 5 MB statt nur ein paar hundert Kb. Und labert nicht, daß darin Spiele programmiert werden. Sicher, aber darum kauft ihr euch ja immer neue Rechner!
Schluß. Die Liste lässt sich fortsetzen, aber das lohnt sich nicht. Die Gegenargumente sind einsichtig: "Hey, die Hardware ist da, wieso nicht ausnutzen?". Weil man sie nicht benötigt. Weil man mit ein bisschen mehr Arbeit auch alles, was mit einem PII 450 möglich ist, mit einem P133 ebenfalls möglich ist, wenn man sich mal etwas Mühe beim Programmieren gibt. Wieso das nicht passiert? Warum sollte es, wenn es der Wirtschaft gut geht, wenn sich alle Jahre die Leute neue Rechner kaufen?
So... wenn ihr nun eines dieser Kiddies seid und diesen Text lest: keep cool. Ihr könnt ja nix dafür, ihr könnt nur was daran ändern! Lasst mich das erklären:
Medien allgemein pushen Computer bis zum geht-nicht-mehr. Jeder will dem User seine Meinung aufdrängen. In der Branche läuft schon lange nix mehr mit Fairness. Wenn eine einflußreiche Zeitschrift ein Spiel verreisst könnt ihr eure Rechner verwetten, daß jede andere Zeitschrift dies auch tut. Hätte id Software die Doom- Engine für Quake 3 benutzt, glaubt ihr, irgendeine Zeitschrift hätte das Ding verrissen? Nicht mal im Traum! Glaubt ihr, wenn ihr in der Dauerwerbesendung GIGA einen Test von einem Programm seht, dieser wäre nicht beeinflusst von den Sponsoren? Sobald ihr eure Augen aufmacht und einen Rechner seht, seht ihr nur eine riesige Werbung. Schade, was?
Aber ich sagte, ihr könnt was dagegen tun. Könnt ihr auch! Weg mit den kommerziellen Tools! Denken heißt das Zauberwort! Denkt nach, bevor ihr etwas glaubt. Hinterfragt das, was euch auf dem Silbertablett serviert wird. Plappert keine Phrasen nach, egal wie oft und wie viele Werbungen euch damit zulabern... nur, weil 10 Werbungen von verschiedenen Herstellern das Gleiche sagen, muß das noch nicht wahr sein!
Sucht euch Quellen, die unabhängig voneinander sind, vergleicht diese und bildet euch eine eigene Meinung. Macht selbst Praxistests. Marschiert in einen Laden eurer Wahl und bringt eure eigenen Benchmarks mit. Eure Mutter testet auch das Gemüse, das sie kauft, da werdet ihr ja wohl eure Rechner testen dürfen! Ferengi-Erwerbsregel: "Höre alles, glaube nichts!".
Rennt nicht durch das Netz, laut schreiend, wie toll ihr doch seid, wie viel ihr wisst. Diskutiert lieber. Offen, ehrlich und bereit, etwas dazuzulernen. Sucht euch Leute, von denen ihr glaubt, sie hätten Ahnung, fragt sie, vergleicht ihre Meinung mit anderen, denkt nach und auch wenn sie Ahnung haben: Sie machen Fehler. Sie sind Menschen, sie haben Vorurteile. Denkt daran, nehmt nichts einfach für Gospel!
Wenn ihr etwas lernen wollt, dann fangt nicht bei 100 an. Ihr wollt Computergrafiken erzeugen? Weg mit Photoshop, her mit Paintbrush. Weg mit JPG, TIFF und Co, her mit PCX, BMP und IFF! Kein Automechaniker lernt an einem Ferrari! Kein Rettungschwimmer wird im Meer ausgesetzt und wenn er zurückfindet, ist er dabei. Wenn ihr doch mit den High-End Programmen anfangt, so ist die Chance groß, daß ihr von dem Feature-Umfang eher entmutigt werdet. Ihr werdet auch nie den vollen Umfang ausschöpfen können, da ihr nie wissen werdet, welchen Effekt man am besten wo und wie einsetzt, da ihr nicht mal wisst, wie man so etwas per Hand macht.
Visual Basic? Weg damit! Her mit Pascal oder C. Lernt erst einmal die Anfänge und die Grundzüge! Wie initialisiere ich eine Grafikroutine per Hand? Was sind Pointer eigentlich in Wirklichkeit? Wie gehe ich effizient mit Speicher um? Der Unterschied, wenn ihr wisst, was ihr macht, ist enorm.
Magix Music Maker? Logic Audio? Weg! Her mit Goldwave und Fast Tracker II, einem MIDI Sequencer und Co. Lernt, was Akkorde sind und wo und wie man sie einsetzt. Musiktheorie. Wie programmiere ich einen Rythmus per Hand? Wann setze ich welchen Takt ein, und wozu sind eigentlich diese weißen und schwarzen Tasten?
Was fällt euch auf? Richtig! Das ist ARBEIT! Knochenharte Arbeit. Doch soll ich euch was sagen? Habt ihr ein Bild fertig, welches ihr gut findet, erst mal den für euch ultimativen Song getrackt oder endlich das fertig programmiert, wo ihr einen Monat drangesessen habt, dann ist das Gefühl unbeschreiblich. Das reinste Glücksgefühl. Etwas getan zu haben und es SELBST getan zu haben. Nur du! Nur ihr, wenn du es mit Freunden getan hast. Ihr habt allen anderen, die das gleiche versuchten, aber nicht schafften, damit in den Arsch getreten! Die anderen sagten, das sei unmöglich? DU warst dabei! DU hast es getan! Und JETZT erkennst du, wenn du das wirklich alles hinter dir hast, DANN bist du derjenige, der du in deiner Angeberei immer warst. Jetzt können wirklich alle zu dir aufsehen!
Die Entscheidung liegt bei euch: Euer Leben lang nur davon labern oder es selbst tun. Und lasst euch nicht von den Leuten entmutigen, die schon ganz oben sind. Die haben auch mal angefangen! Versucht, von ihnen zu lernen. Die meisten sind eigentlich ganz nette Kerle. Vielleicht sind sie ein bisschen genervt von den vielen Kiddies, die nerven, aber um so erfreuter werden sie sein, wenn sie merken, daß es dir ernst ist, etwas zu lernen.
So. Der Text ist zu Ende... jetzt seid ihr dran.
Viel Glück!
Delax/Sundancer Inc.
http://www.sundancerinc.de