Interview mit (ex-) Magic van Lam

Die Geschichte des WildMag's ist kurz, aber lebhaft. Besonders bemerkenswert ist, dass sich der größte Teil dieser Geschichte noch vor der ersten Ausgabe abgespielt hat. Über ein Jahr ist das jetzt her. Grund genug, beim Gründer Sven "Magic van Lam" Gramatke noch einmal nachzufragen.

[WildMag] Wie lange ist es jetzt eigentlich her, dass du zum ersten Mal die Idee eines eigenen Diskmags hattest, und wie kam es dazu?

[Sven] Nun, ich glaube es begann mit Cream 3. Erst ab diesem Mag haben mir Diskmags so richtig gefallen und deshalb habe ich auch etwas für Cream gemacht. Ich habe mir damals vorgenommen nur was für Diskmags zu machen die es technisch wert sind, unterstützt zu werden. Die eigentliche Idee kam aber etwas später. Mir hat ein zentraler Punkt gefehlt, bei dem man alles über die Szene erfahren konnte und ich habe mir damals ein DVD-Projekt ausgedacht. Es ging um eine DVD, deren Menü unter Windows 9x lief und ein komplettes Archiv der Szene beinhaltete. An diese Stelle sei gesagt, dass es damals kaum DVDs gab, zumindest nicht in Europa. Die Einzelheiten dieser Idee will ich allen ersparen, es hat sich als zu komplex erwiesen und somit ist meine Idee von einem Mamutprojekt auf ein Diskmag geschrumpft.

[WildMag] Der wichtigste Faktor, um ein Diskmag technisch wertvoll zu machen, ist sicherlich das zugrunde liegende Programm, im Jargon "Interface" genannt. Wie hast du dir am Anfang "dein" Interface vorgestellt und wie bist du letztendlich auf 'The Update' als Programmierer gestoßen?

[Sven] Eigentlich habe ich es mir in etwa so vorgestellt, wie es heute ist. Mit dem Update habe ich damals einen Coder gefunden, der meine Ideen fast 1:1 umsetzten kann, und das findet man nicht jeden Tag. Eigentlich wollten wir zusammen das besagte DVD-Projekt machen, aber ihm war auch ein Diskmag recht. ;) Um ehrlich zu sein, weiß ich heute gar nicht mehr genau, wie und warum ich ihn kenne gelernt habe. Ich kann nur noch sagen, dass wir uns auf der Evoke 98 getroffen haben und mein Erkennungszeichen eine Aldi-Tüte auf dem Kopf war. Da haben wir auch das erste Mal über dieses DVD-Projekt gesprochen und hörten uns einige "Ärzte"-Lieder an. Er war auch der einzige Coder, mit dem ich ernsthaft darüber gesprochen habe. Diabolic Force, meine alte Gruppe, löste sich damals in ihre Bestandteile auf und ansonsten gab es da nicht viele Leute, die ich kannte.

[WildMag] Ein gutes Interface macht natürlich noch kein gutes Diskmag. Wieviel Zeit hast du damals mit der Planung von Konzepten verbracht, und wie sah das aus? Was waren deine Kriterien - neben dem Interface - für ein gutes Diskmag?

[Sven] Im Grunde bin ich dieses Projekt so angegangen, wie ich jedes Projekt bis dahin angegangen bin. Ich stellte mir vor, wie ein perfekts Mag für mich aussehen sollte, relativierte es auf meine Möglichkeiten und begann dann mit der Arbeit. Das Besondere war dieses Mal nur, dass ich Leute hatte, die es umsetzen konnten, also nicht so wie sonst. ;) Ich beobachtete natürlich auch andere Mags. Die meisten hatten das Problem, dass ihr Interface in den ersten Ausgaben nicht so der Renner war. Dann, wenn das Mag sich einer gewissen Beliebtheit erfreut, wird ein kompliziertes und tolles Interface programmiert. Ein nettes Beispiel für überstürzte Desorientierung war für mich Image. An dieser Stelle sei gesagt, dass Mesios sein Image anders aufgezogen hätte, wenn er nicht mitten in der Pubertät gewesen wäre. Hormonausschüttungen haben zwar sein Schreiben beschleunigt, aber sein Denken bezüglich Interface erwürgt. Andere Mags wurden einfach ein Opfer der Zeit. Hugi war für mich ein Paradebeispiel der Computerevolution. Wenn ich mir alte Hugi-Ausgaben anschauen will, dann muss ich das auch auf einem alten System tun.

Das alles waren damals Sachen, die mir gestunken haben. Somit war die Entscheidung, auf Windows zu gehen, für den Update und für mich klar. Die Grundidee war es, ein System zu entwickeln, mit dem man alle Ausgaben ansteuern kann und bei dem sich jedes Update auf alle Ausgaben auswirkt. Als das klar war, machte ich mich an die Feinheiten. Ich musste mit dem Update sehr vieles besprechen und immer wieder nachfragen, was möglich ist und was nicht. So entstanden mit der Zeit Dinge wie die Plugin-Funktion, und deshalb fehlen noch Funktionen wie eine "Search-Engine", die heute noch auf meiner geheimen Wunschliste drauf steht. ;)= Wie lange es letzten Endes gedauert hat, kann ich auch nicht so genau sagen. Ich würde sagen, bis zum Erscheinen der Erstausgabe, oder eben bis zu meinem Ausstieg bei WildMag.

[WildMag] Wünsche wie zum Beispiel die Suchfunktion hast du bereits im August 1998 in einem Interview geäußert, das später in Image #4 erschien. Wann wurden deine Pläne so konkret, dass der Name "WildMag" entstand?

[Sven] Das muss Anfang 1999 gewesen sein. Ich fand die meisten Mags vom Outfit her ziemlich soft und habe mir einen Namen ausgedacht, der eben das nicht symbolisiert. Der Name "WildMag" war wie geschaffen dafür. Ich habe diesen Namen dem Update vorgeschlagen und ihm hat er auch gefallen, weil der Name auch weniger als 8 Zeichen hatte. ;)

[WildMag] Dein Ausstieg damals war schnell und schmerzhaft. Der Festplattencrash - so hart das auch gewesen sein mag - war sicher nicht der einzige Grund dafür. Sind damals wirklich Dinge vernichtet worden, die du heute - nach weit mehr als einem Jahr - noch betrauerst?

[Sven] Nein, ich hatte in der Tat viele Gründe. Der Plattencrash gab mir aber die Möglichkeit, über viele Dinge nachzudenken. Ich hatte endlich wieder Zeit, über meine Motive, etwas in der Szene zu machem, nachzudenken. Dabei bemerkte ich, dass die Szene etwas anderes war als das, für was ich sie hielt. Ich vertrat die Auffassung, dass die Szene eine selbstlose und absolut liberale Gemeinde war, in der in erster Linie jeder Mensch gleich war, nämlich ein Szener. Am Ende muss ich sagen, dass ich wohl davon träumte, dass es wohl auf der Welt doch einen heilen und liberalen Ort gibt. Ich mußte jedoch feststellen, dass die Szene von ihrer Struktur und von der Einstellung der Leute her genauso verkommen und verlogen ist wie der Rest der Welt. Der Unterschied ist, dass du für das, was du in der Szene machst, weder Geld noch Dank erntest, sondern, wenn du nicht zu den oberen 10 Prozent der Elite gehörst, Spott und Fußtritte.

Als ich mich entschlossen habe, aus dieser Szene auszutreten, habe ich aber erst richtig gemerkt wie recht ich hatte. Zu dieser Zeit hatte ich in der Szene zu ca. 100 Leuten fast jede Woche Kontakt. Ich habe allen Leuten bekanntgegeben, dass ich aus der Szene aussteige. Etwas über 10 Leute haben sich dann darauf gemeldet und ihr Bedauern ausgedrückt, zu gerademal zwei Leuten habe ich noch heute regelmäßig Kontakt und wir schreiben uns auch mal private Sachen. Ich habe somit für mich den Schluss gezogen, dass du als Mensch in der Szene einen Dreck wert bist. Solange du etwas releast, über das die Leute spotten oder staunen können, bist du etwas wert. Wenn du aber alles hinschmeißt, weil es dich ankotzt, will keiner mehr was von dir wissen.

Ich habe meine Entscheidung nie bereut, bis auf die Tage, an denen eine Ausgabe von WildMag releast wurde. Aber selbst diese Einstellung hat sich mit der Zeit geändert.

[WildMag] Bedeutet das, dass du nach wie vor als passiver Konsument an der Szene teilnimmst? Inwiefern verändert sich die Sicht auf dieses Geschehen, wenn man nicht mehr dazugehört?

[Sven] Hin und wieder schaue ich mir das eine oder andere Demo oder Mag an, aber verglichen mit früher ist das Kinderfasching. Früher hatte ich Tage, an denen ich 8 Stunden lang nur Demos angeschaut habe, heute schaffe ich das in drei Monaten, wenn überhaupt. Wenn man so wenig konsumiert, dann merkt man eigentlich nur, dass die Demos und Intros technisch besser werden, dass bald alles nur noch unter Windows läuft, aber mehr ist da nicht.

[WildMag] Wie denkst du über den aktuellen Stand der PC-Szene? Was waren für dich die Höhepunkte und unverdienten Verlierer der letzten Monate?

[Sven] Als Höhepunkte seit meinem Ausstieg würde ich absolut "Kasparov" nennen. Wenn ein Demo wirklich oft bei mir lief, dann war es dieses. Auch die Farbrausch Projekte waren sehr gut, der Rest war für mich eher 'ne fade Suppe. Unverdienter Verlierer... das ist schwierig. Ich finde, dass die Bedeutung von Kasparov untergegangen ist. Ich zumindest habe eine bessere Platzierung in den Magcharts erwartet. Sonst kann ich dazu nicht viel sagen, weil ich die Partys nicht so verfolge.

[WildMag] Was machst du heute in diesen 8 Stunden?

[Sven] Derzeit mache ich eine Weiterbildung zum Galvanotechniker. Die Schule wird mich noch bis Sommer 2002 auf Trab halten. Wenn ich nicht gerade den Staub in der Schule zähle oder zu Hause über Chemie und Elektrochemie brüte, dann spiele ich die aus der Sicht der Szene lamesten Spiele, schaue mir DVDs ab 18 an oder kümmere mich um meinen kleine Neffen.

[WildMag] Dafür hattest du vor vier Jahren vermutlich nicht so viel Zeit. Damals bist du ja unter anderem der Gruppe "Diabolic Force" beigetreten, die mit Intros wie "Sündenbock" und dem Spiel "Wak-A-Bill" sogar recht erfolgreich war. Inwiefern hatte dein Ausstieg etwas mit dem Tot von "D4Z" zu tun?

[Sven] Nun ja, als erstes sei mal gesagt, dass ich einer der Gründer von D4Z war. Ich habe in dieser Gruppe wohl ziemlich viel Herzblut gelassen. Ich neige dazu, alles was ich betreibe auch fanatisch zu betreiben, und das habe ich bei D4Z auch getan. Das lag sicher auch an meiner Kindheit, die dem Rest von D4Z erspart geblieben ist. Ich habe mit D4Z meinem Leben wieder einen Sinn gegeben, auch wenn das für viele nicht nachvollziehbar ist.

Als es mit D4Z gelaufen war, war es mehr als nur schlimm für mich. Ich "litt" regelrecht wieder an Depressionen (in den 3 Jahren von D4Z hatte ich keine) und suchte eine neue Aufgabe in meinem Leben. Diese habe ich in WildMag gefunden, dachte ich. Als damals der Crash kam und ich die Jahre gedanklich an mir vorbei ziehen ließ, kam ich wohl an dem Kapitel D4Z nicht vorbei. Ich erinnerte mich, wie das Ganze auseinander ging, und das hat mich wieder in ein emotionales Tief gerissen. Heute denke ich, wenn ich die Erfahrungen in D4Z nicht gemacht hätte, hätte ich sicher auch nicht WildMag gegründet, aber ohne die Trennung von D4Z hätte ich die Szene sicher nicht verlassen.

[WildMag] Die "Kindheit", die du ansprichst, scheint nicht leicht gewesen zu sein. Manchmal gewinnt man zwar den Eindruck, dass der durchschnittliche Demoszener mit 8 Jahren seine erste Playstation und mit 12 seinen ersten PC geschenkt bekommen, bei dir war das aber vermutlich ganz anders.

[Sven] Um auf dieses Kapitel meines Lebens einzugehen, müsste ich ein Buch schreiben, aber ich kann es schnell zusammenfassen. Wie viele Kinder war auch ich ein "Opfer" einer Scheidung, allerdings mit der Auswirkung, dass ich damals nach Ungarn gebracht wurde (meine Mutter war gebürtige Ungarin, mein Vater Deutscher). Ich besuchte dort den Kindergarten und auch die ersten drei Schuljahre, meist ohne meine Mutter, weil sie es wohl für besser hielt, mich bei fremden Leuten unterzubringen.

Als mein Vater dann eine zweite Ehe einging, holte er mich aus Ungarn nach Deutschland zurück und somit konnte ich die schlimmste Zeit meines Lebens hinter mir lassen. Vergessen habe ich diese Zeit aber nie. Ich wurde dann eingeschult, in der 4. Klasse, und konnte nicht einmal genug Deutsch um mit meinem Vater zu reden. Diese Zeit hat mir eines mit auf den Weg gegeben: Ich habe gelernt zu kämpfen! Erst wollte man mich in die Sonderschule stecken, aber aufgrund meiner Matheleistungen in der 4. Klasse konnte man es dann doch nicht machen. Also war die Hauptschulzeit für mich vorprogrammiert...

Den ersten Computer bekam mein Stiefbruder (zu dem ich biologisch aber keine Verbindung habe) und wir arbeiteten uns beide fleißig rein. Durch damals gute Freunde habe ich dann die Szene kennengelernt, in der ich dann jahrelang das Gelächter über meine miese Rechtschreibung ertragen musste.

[WildMag] Über dieses Detail hättest du dir als Chefredakteur keine Gedanken machen müssen. Die Crew des WildMag's verfügt zur Zeit über auf diesem Gebiet ausgezeichnete Redakteure. Hattest du damals eigentlich die Befürchtung, dass sich kein Nachfolger findet?

[Sven] Zum WildMag habe ich sicher meine ganz eigene Einstellung. Gegründet wurde es vom Update und von mir. Ich habe das manchmal schon wie eine Verbindung zwischen Mann und Frau gesehen. Ich war der - wohl schlechte - Vater, der den Samen mal eben in die Frau schleudert. Update hat das Kind dann wohl gut ausgetragen. Nach meinem Ausstieg müsste wohl ein neuer Vater her.

Mehr durch Zufall habe ich vor meinem Ausstieg noch 'mad/os' auf der Dialogos '99 kennen gelernt. Er sprach mich darauf an, ob wir seine Hilfe gebrauchen könnten und damals dachte ich mir noch nicht, wie sehr ich diese brauchen würde. Er bewies in Punkto Diskmags hervorragende Sachkenntniss und schien mir damals auch menschlich ein super Typ zu sein. Nach meinem Ausstieg konnte ich den Update nicht einfach so hängen lassen, und ich kam sofort auf die Idee, dass der mad/os der wohl einzige in der Szene wäre, der in der Lage ist so ein Mag zum "Erfolg" zu führen. Somit wurde er zum Stiefvater. Am Anfang habe ich ihn noch ein wenig beraten, aber nach der ersten Ausgabe musste ich das nicht mehr, da er einfach hervorragende Arbeit leistet.

[WildMag] Von "Erfolg" im herkömmlichen Sinne kann man nach 15 Monaten und 3 Ausgaben nicht wirklich sprechen. Dennoch hat das WildMag eine treue Leserschaft, zu der sicher auch du gehörst. Gibt es abschließend noch irgend etwas, was du der Welt schon immer mitteilen wolltest?

[Sven] Ja, ihr werdet alle sterben, soviel ist mal sicher!!! Nun ja, außer diesen Worten wollte ich allen Leuten, die gemeint haben sie würden mich kennen, sagen, dass sie sich geirrt haben. Ich habe einmal folgenden Spruch abgelassen:

"Ihr könnt 100 Tage mit mir reden,
mich 1.000 Tage sehen,
10.000 Tage über mich lesen
und ein Leben lang über mich nachdenken,
aber was ich denke, kriegt ihr nie raus.
Wie ich denke, denkt kein anderer!"

Solche Sätze schreibe ich nicht, weil ich klüger oder weiser erscheinen will als ich bin, sondern weil ich vielleicht das eine oder andere erlebt habe, was ich keinem gönne. Manche Menschen sind der Meinung, nur weil sie ein gewisses Alter erreicht haben, seien sie um einen gewissen Faktor weiser als die anderen. Das ist aber sicher nur die halbe Wahrheit. Über den Rest sollen die Leser selber nachdenken.

mvl.yr@gmx.de