Von Desinfektionsbecken, vergessenen Rucksäcken
und fliegenden Ratten - Ein Schüleraustausch mit England

CMan

Ein Schüleraustausch, wie ich ihn kürzlich mitmachte, bietet ja immer so seine Vor- und Nachteile. Es ist wie Urlaub. Man kommt in ein fremdes Land, eine fremde Gegend, mit Leuten, die einen verdammt nochmal nur verstehen wollen, wenn man sich Mühe gibt, das über all die Jahre angestaute Wissen an Vokabular und Grammatik aus der hintersten Ecke seines Oberstübchens hervorzukramen und auszusprechen. Dabei machen sich die meisten Leute überhaupt nichts aus Satzbau und dergleichen. Doch wenn man es dann schafft, wenigstens etwas den Sinn dessen, was man dann tatsächlich sagen will ("Ick bin sücktick nack Bongbongs"), aufrecht zu erhalten, sind die Fremdsprachenkenntnisse gleich "exzellent". In meinem Fall handelte es sich glücklicherweise noch dazu um Englisch, der außer Brainfuck einfachsten Sprache der Welt.

Die Lage sieht also rosig aus: Eine ganze Woche lang von zu Hause weg im fernen England, keine nervigen kleinen Schwestern oder bis zum Zerplatzen vollgequetschte Busse. Und an so etwas grässliches wie Schule oder Hausaufgaben durfte erst gar nicht gedacht werden. Dachte ich. Denn schon als wir durch das Desinfektionsbecken vor dem Tunnel fuhren, wurde mir klar, dass ein Austausch nicht nur Urlaub bedeutet.

Hatte ich bei der Gelegenheit vergessen zu erwähnen, dass es sich bei unserer Partnerschule um eine Erziehungsanstalt allein für Mädchen handelt? Nun ja, insofern hatten wir sechs Jungen natürlich noch Glück gehabt, dass unsere englischen Gastgeber extra ein Zimmer für uns räumten. Und auch der Frauenanteil von knapp 90% fiel bei den Ausflügen fast gar nicht auf oder gar auf die Nerven. Doch wer von euch hatte schonmal das Vergnügen, als Junge auf eine Mädchenschule mitgehen zu dürfen? Aber dazu später.

Am Samstagabend jedenfalls trudelte unser Bus vor dem englischen Schulgebäude ein und hielt dabei fast den gesamten Verkehr dieses kleinen Londoner Vororts auf, weil er mitten auf der Straße parken musste. Wir waren froh, endlich nicht mehr nur sitzen zu müssen und stürzten uns in die Menge. Das Ganze wäre wahrscheinlich in totale Anarchie ausgeartet, wäre da nicht der nette Deutschlehrer, Mister Chris Pulford, gewesen, der sofort die Stimme hob und uns den Familien zuteilte. Zusammengepfercht in den kleinen Fiat ihrer Mutter, fuhren dieselbe, meine Austauschpartnerin und ich dann später dem neuen Zuhause entgegen. Und meiner Meinung nach gibt es nichts Interessanteres als ein englisches Reihenhaus.

In der nun folgenden Woche unternahmen wir gleich drei Ausflüge nach London, was auch nahe liegt, wenn man diese Weltstadt schon einmal nahezu vor der Haustür liegen hat. Die Sehenswürdigkeiten, die wir auf unseren Touren besichtigten, waren für einige sogar so interessant, dass sie am Trafalgar Square ihren Rucksack vergaßen, dies aber erst etwa eine Dreiviertelstunde später in der Downing Street bemerkten, was unsere Englischlehrerin ein wenig, jedoch für ihre Verhältnisse nicht allzu viel erzürnte.

Apropos Trafalgar Square - diesen Ort muss man wirklich gesehen haben. Und dann diese Tauben! Am frühen Nachmittag taucht die Sonne, die gerade noch die für London wohl typischeren Regenwolken verdrängt hat, den weißen Stein in ein gleißendes Licht, und hunderte begeisterter japanischer Touristen versammeln sich an der riesigen Säule zum großen Fotoshooting. Da plötzlich lässt auf der einen Seite des Platzes ein noch ahnungsloser Reisender, der gerade durch die Lücke zwischen den angrenzenden Gebäuden geblickt und voller Entzückung den BigBen entdeckt hat, unbeabsichtigt einen winzigen Brotkrumen seines Reiseproviants fallen. Wie in Zeitlupe nähert sich dieses kleine Stück Brot nun der sich auf dem Boden befindlichen Steinplatte, jedoch wohl nicht unbemerkt von einer der "flying rats", denn in just diesem Moment erhebt sich eine gewaltige grau-schwarze Wolke gen Himmel und verdunkelt für einen Moment die Sonne, bevor sie auf der anderen Seite um den Brotkrumen geschart wieder herunterkommt. Und die Japanischen Touristen tragen jetzt Kleidung mit dem neusten modischen Schrei in Form von weißen Flecken.

Aber nicht nur die Londonaufenthalte waren - nun, sagen wir außergewöhnlich. Auch an das englische Schulsystem muss man sich erst gewöhnen. Erst einmal kann man als Vorteil verbuchen, dass in England - wie sicherlich allgemein bekannt - die Schule später anfängt als in deutschen Landen. Dafür hat man den Nachteil, dass das Schulgebäude erst gegen vier Uhr verlassen werden darf und man aber trotzdem nur sechs Stunden zu je 50 Minuten gehabt hat. Diese Stunden sind, wenn man als Gast dabei sitzt, echt mehr als uninteressant. Allerdings muss man sich als ahnungsloser deutscher und noch dazu männlicher Austauschschüler in einer englischen Mädchenschule in den Fünf-Minuten Pausen wirklich in Acht nehmen, um nicht von einer vorwärtsstürmenden Gruppe wildgewordener Engländerinnen, von den jede von ihnen noch eben schnell an ihren Schrank wollen um das Mathebuch mit einem Gesamtgewicht von drei bis vier Kilo zu holen, gnadenlos über den Haufen gerannt und plattgetrampelt zu werden. Meine Güte, was für ein Chaos!

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