Dialogos 2000 Doppelreport
TS
und mad/os
[TS] Freitag morgen, 3. November 2000. Noch bestimmt die übliche Geschäftsatmosphäre die Holzmarktpassage im Herzen Jenas. Nichtsahnend von den kommenden zwei Tagen gehen die Jenaer ihren alltäglichen Erledigungen nach, ohne die Vorgänge rund um die leeren Räume im zweiten Stock zu bemerken. Doch unaufhaltsam beginnt mit dem Lauf der Zeit die Invasion eigenartiger Individuen, sogenannte Demoszener, um die Weltherrschaft aufs neue zu beweisen. Schon bei ihrer Ankunft zeigt sich die Außergewöhnlichkeit dieses Ereignisses: War man bisher gewohnt, daß man üblicherweise Waren in einem Einkaufszentrum kauft und sie anschließend mitnimmt, so mußten nun die Besucher feststellen, daß nun zum erstenmal mehr Monitore, Bildschirme und sonstiger lebensnotwendiger Kram (wie etwa Hüpfburgen) von ihren Besitzern die Rolltreppen herauf- statt heruntergebracht wurden.
[mad/os] Zum Glück gibt es einen Lift, der auf seinem Weg von der Tiefgarage in den ersten Stock viele erstaunte Blicke auf sich zieht. Oben angekommen findet man mehrere mit Bauzäunen und Tüchern abgesperrte Geschäftsräume - für echte Demoszener genauso wenig erstaunlich wie die zolldicke Starkstromleitung, die quer durch das Treppenhaus führt. Schließlich wollen etwa 50 Leute a) vor neugierigen Blicken Außenstehender geschützt sein und b) genügend Saft für Dinge wie Beamer, Standgebläse oder Kaffeemaschinen haben. Die folgenden 48 Stunden versprechen, interessant zu werden.
[TS] Neben zwei Räumen mit dem üblichen Partyinterior (Holztische, Stühle, Kabel) und Rotlichbeleuchtung, gibt es noch eine Chill-Out-Area die mit vielen knuffigen Sofas sowie einem kleinen Beamer bestückt ist. Erstere erfreuen sich des Nachts hoher Beliebtheit, aber nur wenige kommen in das Glück, ein freies zu ergattern, obwohl die Packrate auf ihnen jeden Kompressionscoder vor Neid erblassen lassen würde. Auch der Anblick von Jena durch die Panoramafenster sorgt besonders Nachts für eine besondere Atmosphäre. Die Demo- und Grafikcompos finden statt dessen im Kino des Holzmarktes statt, was bis auf den etwas lichtschwachen Beamer für gediegene Atmosphäre sorgt. Einigen Szener aus dem TUM-Umfeld gefällt es offensichtlich so gut, daß sie Weihnachten auf der Dialogos vorfeiern. =)
[mad/os] ... obwohl die aufblasbare Hüpfburg in der Nähe ganz andere festliche Anläße vermuten lässt. Die Lautstärke hingegen erinnert tatsächlich über weite Strecken an weihnachtliche Besinnung. Natürlich ist es nie still, aber verglichen mit anderen Ereignissen dieser Art ist die musikalische und vokale Untermalung ausgesprochen angenehm, sicher auch hervorgerufen durch die verwinkelte Teilung des Areas in drei langgestreckte Räume. Nur selten müssen die Dialoge unterbrochen werden, zum Beispiel durch ... unüberhörbar lautes erotisches Gestöhne? Der betreffende Anime-Film erfreut sich vermutlich sprunghafter Beliebtheit, nachdem einer der Ordner doch um Ruhe bittet - schließlich ist es Nachts um vier Uhr.
[TS] Es haben auch ein paar Szener außerhalb von .de ihren Weg nach Jena gefunden, etwa Velvet/Park (die Musikcompos lassen grüßen) aus Ungarn oder Izmar aus NL. Ansonsten überwiegen bekannte Gesichter, und glücklicherweise erweist sich diese Party als absolut Gamer- und Lamerfrei! Die Releases sind eher durchwachsen, außer Freestyle mit ihrem technisch brillianten 4k "Störfall Ost" und Void Main mit ihrem lustig anzusehenden Demo "Flashback" sieht man gewohnte Kost. Und "Frauen Pausenlos" ist in der dritten Auflage wieder dabei.
[mad/os] Besonders die 4k-Competition sorgt weit vor der Deadline für Aufregung. Sie wird nicht stattfinden, sagt man uns. Es gäbe zu wenige Beiträge, befürchtet man. Das darf nicht sein, beschließe ich, zumal "Störfall Ost" zu diesem Zeitpunkt bereits in aller Munde ist. Und so steht der Entschluß fest, unter dem Label "real.fake" ein Fun-4k zu kreieren... 24 Stunden später läuft dieses Intro zwar nicht auf dem Compo-Rechner, doch mir bleibt die Gewissheit, mit den 1000 Zeilen Assembler viel Spaß gehabt zu haben. Enttäuschend wäre es ohnehin gewesen, schließlich sollte man erwarten, dass in einem 1,7k großen Intro noch jede Menge Platz für Sound ist. Leider treffen MuhMac's Bemühungen, mir eine Sound-Engine zu erklären, auf keinen sonderlich fruchtbaren Boden.
[TS] Dementsprechend sehen die 4ks mit einer Ausnahme auch mehr nach Notfallveröffentlichung aus, was sich darin äußert, daß sie mehr oder weniger unfertig bzw. simpel sind. Stört allerdings überhaupt nicht, eine ausgefallene Compo wäre schlimmer gewesen. Ganz nebenbei fällt auf, daß einige der herumstehenden und zweckentfremdeten Einkaufswagen auch als Sitzgelegenheit benützt werden.
[mad/os] Dabei kann man es wesentlich bequemer haben. Wenn man sich - die passende Tageszeit vorausgesetzt - aus dem zwar dreckigen aber sehr ruhigen und abgeschiedenen Schlafraum begibt und eine Treppe nach unten wankt, so findet man unter anderem eine Bäckerei und eine Pizzeria, die mit für Demoszenern vergünstigten Angeboten aufwarten. Noch beliebter sind nur die kostenlosen Brötchen und RedBull-Dosen, die man mit ein wenig Geschick sogar direkt zum Platz geliefert bekommt. Service, den man auf großen Partys verständlicherweise vergeblich sucht. Und so neigt sich die Dialogos 2000 ihrem Ende zu...
[TS] Die Abschlußrede und Preisverleihung war anfangs noch nicht so recht gefüllt, da einige schon fleißig ihre Utensilien fortbrachten während andere noch selig schlummerten (Pigpen hätte fast die Preisverleihung verschlafen, und so machte er einen ziemlich aufgeweckt(worden)en Eindruck. ;-) Die Idee, daß jeder Gewinner seine Botschaft verbreiten soll, ging etwas daneben: Außer "Mehr Baß" (TUM) und "Freßt mehr Nelken" (Farbrausch) haben die meisten offensichtlich nichts zu sagen. Auch die Leiterin der Passage war bei der Preisverleihung anwesend und machte einen reichlich verwirrten Eindruck, was nicht zuletzt auch an KBs Reaktion auf den Compopreis, einer Internettastatur lag, die er mit den Worten "Internet suxx - learn to code" in die Menge warf. Alles in allem eine rundum gelungene Party die hoffentlich dieses Jahr eine entsprechende Fortsetzung findet.