Regelwerke
LIN 8080
Da sitzt man irgendwo herum und wartet auf irgendetwas. Etwa beim Zahnarzt, oder auf dem Arbeitsamt. Man langweilt sich grenzenlos. Plötzlich trifft einen die Idee. Die Idee. Am liebsten würde man sofort den nächstgelegenen PC ansteuern und loslegen. Man darf aber nichts verlauten lassen. Man würde sich selbst als Hacker entlarven und überaus unerwünschte Reaktionen dafür bekommen. Also wartet man geduldig weiter.
Während dieser Zeit entwickelt das Gehirn die Idee weiter und setzt sie unaufgefordert in direkt eintippbare Codezeilen um. Zum Greifen nahe, direkt vor Augen. Meilenweit vom Terminal entfernt. Grausam.
Stunden später, immer bemüht, dieses komplexe neugeborene Etwas weitestmöglich zu erhalten, sitzt man endlich vor dem heimischen PC. Bereit, diesen brillianten Geistesblitz in Realität zu verwandeln, da ereignet sich ein weiteres. Schwerer Ausnahmefehler in Adresse...
Man sitzt vor einem blauen Bildschirm. Spätestens jetzt wird glasklar erkennbar, dass diese eben noch greifbar nahe Welt in unerreichbare Ferne gerückt ist. Jemand hat sie gnadenlos gekillt. Hilflos und verwirrt muss man mit ansehen, wie eine weitere Einmaligkeit sich endgültig verabschiedet...
Man erinnert sich aus unerklärlichen Gründen an die Lehrsätze einer Spielfilmfigur. Nein, schneller sie ist, verführerischer. Nur durch Ruhe wirst du sie erkennen... Aha. Also bemüht man sich, Ruhe zu bewahren. Es ist ja noch alles da, irgendwo im Kopf. Es wird schon werden.
Mittlerweile bietet diese Maschine, vor der man sitzt, ihre makellose Oberfläche, bereit, ganze Megabytes gierigst zu verdauen. Die Finger befinden sich über der Tastatur, bereit, alles in Sekundenschnelle rein zu hacken. Aber, da ist nichts mehr. Weg. Wie nach einem Reboot.
Was also tut man in solch einem Falle. Erstmal tief durchatmen. Man versucht, sich in Gedanken in einen Wartezustand zu versetzten, ganz so, wie er wenige Stunden zuvor noch gewesen ist. Man wartet. Nichts ereignet sich. Aus der Erinnerung kramt man Trümmer und Fragmente dieses Geistesblitzes hervor, um ein wenig Anreiz zu schaffen, ein paar Brücken zu bauen. Man will. Jetzt endlich kann man. Aber eben jetzt macht's nichts mehr.
Na schön. Dann wird eben getippt, was man noch weiß. Die Erinnerung wird erneut befragt. Und siehe da, es tauchen tatsächlich komplette Sequenzen auf. Sofort wird das über die Tastatur fixiert. Nach wenigen Stunden hat man in ungefähr so etwas wie eine Struktur mit einigen fertigen Kleinigkeiten.
Jetzt zeigt sich, wie gut man raten kann, wieviel Übung man selber im Umgang mit solchen Situationen hat. Man überfliegt sein Werk, um weitere Lücken zu schliessen. Neben all den eingegangenen Kompromissen ist der eben entwickelte Programmcode aber nur noch ein verstümmelter Abglanz dessen, was eigentlich Ursache dieser Aktion gewesen ist.
Wie war das doch gleich? Ein langweiliges Warten auf ein vorherbestimmtes Ereignis. Dieser Zustand wurde vom Gehirn über unbekannte Mechanismen ausgefüllt. Die ungenutzten Kapazitäten dieser Biomasse waren urplötzlich gefüllt, haben nach mehr verlangt und es schien, als sähe man nur die Spitze eines kolossal riesigen Eisberges. Wow.
Listig wie man ist, begibt man sich zum Bahnhof. Dort liest man im Fahrplan die Ankunftszeit 17:32 Uhr. Na toll. Ausgerüstet mit dem Fahrrad, einem Stift und mehreren Konzeptblättern macht man sich auf, den Bahndamm zu suchen. Es ist 14:17 Uhr. Das Fahrrad rollt auf einem Weg direkt neben der Schiene. Es ist ein guter Tag zum ...
Also, da vorne hinter dem Gebüsch. Klar. Der Drahtesel wird vor dem Gebüsch geparkt, man begibt sich in unbequemer Haltung auf die Lauer. Spätestens um 17:30 Uhr ist der Zug vorbeigerauscht. Das war's dann. Man richtet sich etwas ein, legt die Zettel aufs Knie und hat den Stift in der Hand.
Man sitzt und wartet. Wie schon einmal. Nun denn. Den Versuch war's immerhin wert. Es ist nach 17:45 Uhr. Die mitgebrachten Konzeptzettel füllen sich mit diesen Zeilen. Es wird zusehends dunkler. Der Text fließt beinnahe wie von alleine zu Papier. Den Stift kann ich nur noch erahnen, aber ich hab genug Zettel mit, alle, die ich habe. Irgendwie ist es dann aber doch zuende.
Es ist stockdunkel, ein paar Zettel sind beschriftet. Ich habe den verlorenen Schatz gejagt. Zwar hab ich ihn nicht erlegt, aber ich bin ein Stückchen auf seiner Spur gewesen. Ein tolles Gefühl der Befriedigung macht sich Raum in mir. Denn: Morgen kommt ja wieder dieser Zug. Und so schlecht ist dieser Platz hier doch gar nicht...
Wer aufhört zu coden, der hört auf zu lernen...