Gesülze
gefunden von LIN 8080
Hier hab' ich mal was ganz tolles gefunden. Es nennt sich Meinungsmache und kommt natürlich aus dem Internet. Was sonst. Ich werd' das jetzt etwas zerreißen.
Morgenland
Eine englische Zeitung hat kürzlich den "Hyp" und die "Hyppies" erfunden. Der "Homeless young professional" ist gewissermaßen der Hippie im Boss-Anzug: zwischen 20 und 30 Jahre alt, international tätig, interkulturell gebildet und überhaupt ganz intergalaktisch intergenial.
Auf jeden Fall aber ist dieser Manager der Zukunft pausenlos unterwegs. Denn entweder arbeitet er für einen internationalen Konzern, der eigentlich gar keiner mehr ist, sondern ein gigantisches Netzwerk aus weltweiten Aktivitäten in völlig verschiedenen Geschäftsfeldern. Oder er arbeitet für viele Unternehmen, hat keinen festen Arbeitsvertrag mehr, tingelt von einem Auftrag zum anderen, loggt sich in Unternehmensnetzwerke ein und leistet ein kleines Stück Arbeit an einem Projekt, mit "Kollegen", die auch alle nur kurzfristig angedockte Freelancer sind.
Wie könnte die Arbeitswelt von morgen aussehen? Wie werden Unternehmen strukturiert sein? In welchem wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen, kulturellen Umfeld werden sie stehen? Wir haben Unternehmensberater, Zukunftsforscher, Wissenschaftler, Künstler befragt. Das Ergebnis sind Visionen über eine Welt im Umbruch: schneller, unsicherer, anonymer als früher, aber eben auch aufregend und herausfordernd, mit größeren Chancen, sein Leben zu gestalten.
Verantwortung für sein eigenes (Arbeits-)leben zu übernehmen, Unternehmer seiner selbst zu werden - dieser Gedanke steckt auch hinter der Initiative "Selbst-GmbH", die Anfang diesen Jahres von drei Personalmanagern ins Rollen gebracht wurde. Inzwischen ist daraus ein Netzwerk von Personal-Leuten aus vielen bekannten Unternehmen geworden. Sie alle wissen, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern keine lebenslange Beschäftigung mehr garantieren können. Deshalb wollen sie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung als Arbeitgeber nachkommen, indem sie ihre Mitarbeiter so aus- und weiterbilden, dass sie auch bei Verlust ihres angestammten Arbeitsplatzes beschäftigungfähig bleiben - im eigenen Unternehmen oder in anderen.
Was denken ganz "normale" Menschen über diese Idee? Löst sie bei jungen Berufstätigen eher Zuversicht über neue Chancen oder Risiko-Alarm aus? Ein Unternehmensberater, ein Lehrer, ein Gewerkschafter und eine "lebende Selbst-GmbH" haben sich auf Einladung der Redaktion die Köpfe heiß diskutiert.
Am Anfang ging für unsere Kollegin Astrid Oldekop erstmal alles schief: Einen Tag vor Abflug nach Shanghai musste der Arm in Gips. Beim Einchecken erfährt sie, dass der Flug von Düsseldorf nach Frankfurt verlegt wird, dann bricht auch noch ihr Taxi zusammen. Doch was sie dann an Eindrücken aus der Stadt der Zukunft mitbrachte, hat uns begeistert: Shanghai ist ein Hexelkessel voller Leben.
Das nennt man Convergence: Wenn das Handy heute schon weiß, was morgen am Zeitungskiosk los ist. Allen Lesern nämlich, die uns auf der Webpage www.jungekarriere.de/handy ihre Mobilnummer hinterlassen, schicken wir ab nächstem Jahr per SMS (Short-Message-Service) eine Botschaft, wenn die neue Junge Karriere da ist.
2000 Grüße schickt das Junge-Karriere-Team
Morgenschand
Im obenstehenden Text wird eine ganz tolle Geschichte erzählt. Sie zu lesen ist eigentlich überflüssig. Sollte jemand nicht wissen, was ein "Hyp" ist, tut er wohl besser daran, nicht danach zu fragen.
Aber was ein Hype ist wird wohl jeder wissen, ja?
Was hier stattfindet, heisst schlicht und ergreifend Trittbrettfahrer, nichts weiter. Es ist der Versuch, sich verbal (hier schriftlich) an ein ähnlich klingendes Wortkonstrukt anzuhängen. Etwa nach dem Motto: Seht her, ein Hyp (rein damit).
Das Ganze wird dann noch mit dem Wort Hippy in Verbindung gebracht. Offensichtlich wusste der Editor nicht, was ein Hippie ist? Nun gut, um bei der Analogie zu bleiben, ein professioneller junger Heimatloser. Klinkt doch? Ist das der Hip (von Nest Lee).
Trotzdem wird in diesem Artikel das Bild mit einem Markenanzug von Boss garniert. Es folgen noch weitere illusionäre Wahnvorstellungen, die mit den eben erwähnten Worten verknüpft (oh, gelinkt) werden.
Gefährlich hingegen ist die Suggestion, eine feste Arbeitsstelle als nicht erstrebenswert zu zeichnen. Vielmehr wird nahegebracht, dass die Zukunft für einen Boss Anzugs-Träger eher sowas wie ein Tagelöhner Dasein ist. Dies geschieht wahrscheinlich deshalb, um die Wichtigkeit der Internetseite unterschwellig hervorzuheben. Es ist die Job Börse.
Vor 100 Jahren war das der Marktplatz, wo die Herren Gutsbesitzer ihre Strohmänner nach geeigneten Arbeitsknechten suchen ließen. Es hat sich nichts verändert, ausser die Farbe, die alte war aber billiger.
Was also wird tatsächlich aus qualifizierten Arbeitskräften gemacht? Nennen wir es vorerst mal Wertminderung, um billig an Leistung zu gelangen. Wisch und zauber, in einer neuen, nicht existierenden Welt, nicht wa(h)r? Namentlich erwähnt sei das Wort Beschäftigungsfähig. Wohlgemerkt, nicht arbeitsfähig, nein, Beschäftigung. Ist wohl eh kaum noch ein Unterschied feststellbar. Daraus wird dann schliesslich ein weiteres Wortkonstrukt gebastelt, "lebende Selbst GmbH". Was soll das sein? Ein Boss-Anzug, eine Bankkontonummer, wenigstens etwas zwischen 20 und 30. Psychologen sagen, in dem Alter sei Man(n) noch formbar. Eine personalisierte Sie gibt es dabei nicht.
Nach all den aufgetischten Träumen wird schließlich die Spendentrommel gerührt. Das harte Schicksal einer Einzelperson, die nach Shang Hai fliegt, wird geschildert. Nicht etwa, um eine Spenden Kontonummer anzufügen, sondern aus ganz anderen Gründen. Vom Himmel in die Hölle etwa könnte man diese Wendung im Text nennen. Die erwähnte Dame ist über 50 Jahre alt, und von Frankfurt aus ist sie auf persönlichen Wunsch gereist. Sie hat dort eine Bekannte. (die Anspielung auf eine ferne Metropole hat den Grund: Dort sitzt eine billige Arbeitskraft, die einige MByte HTML gecodet hat. Bei der Gelegenheit wurden Kaschmir Massanzüge importiert, rein privat, versteht sich.)
Erst gegen Ende des Textes erfolgt der eigentliche Zweck der Zeilen. Die Handynummer. Auf dem Adressenmarkt ist die sehr viel Geld wert. Die soll nun gegen ein Versprechen eingetauscht werden, zu dessen Realisierung man schliesslich auch noch bezahlen soll...
Ein wirklich bemerkenswertes Stück Zeitgeschichte dieser neuen Welt. Der Leser möge sich die Wirkung des Überfliegens einmal nahebringen.