Die C65-Story
oder
Die Geschichte des echten 64-Nachfolgers
Tomaes
Willkommen zu einem neuen Teil meiner kleinen "Hardware-Kuriositäten" Reihe. Der erste Teil beschäftigte sich mit dem Virtual Boy, dem gescheiterten 3D-Game Boy-Nachfolger von Nintendo (nachzulesen in der ersten Hugi.GER-Ausgabe, die zum Zeitpunkt, wo ich diese Zeilen in meinem Rechner hacke, noch nicht erschienen ist).
Der C65 also. In der Zeitschrift 64'er (Ausgabe 3/94... Ja, ja, lang ist's her...) kann man als Einleitung zu einem Artikel Folgendes lesen:
Es war einmal, vor vielen Tagen und in einem fernen Land, ein neugeborener Computer, dessen Herz mit 4 Mhz schlug, der mit bunter VGA-Grafik in die Gegend schauen und mit Stereosound die Lautsprecher erbeben lassen wollte. Er hatte jedoch einen Geburtsfehler: seine Kehle war zu eng, so daß er nur 8 Bit auf einmal schlucken konnte. Seine Mutter schämte sich seiner gar sehr und schickte ihn deshalb in einen finsteren Wald, wo er lange Jahre leben mußte...
Um 1990 produzierte Commodore, die wenige Jahre später von Escom geschluckt wurden (später ging Escom selbst pleite), zirka 2000 Exemplare eines legendären Computers: den C65. Schon in den 80er Jahren hatte Commodore vergeblich versucht, für den meistverkauften Homecomputer aller Zeiten (und auch heute noch als "old warhorse" verehrt), den Commodore 64, einen Nachfolger zu produzieren. Ohne Zweifel war dies kein leichtes Unterfangen, schließlich mußte sich der neue Rechner an dem kultigen Vorgänger messen lassen. Da gab es den C16, den Plus4 und schließlich den C128. All diesen Versuchen, außer dem C128 vielleicht, war kein langes Leben beschert. Zum Teil bedeuteten sie aus technischer Sicht sogar einen Rückschritt. Der C128, einem Rechner, mit dem Commodore IBM und Apple angreifen wollte, krebste mehr oder weniger vor sich hin und konnte objektiv gesehen weder an den Kult noch an die Verkaufszahlen oder den Softwaresupport des Vorgängers herankommen. Viel zu oft wurde der C128 auf seinen C64-Modus reduziert.
1985 kam bekanntermaßen der neue "Supercomputer", der Amiga, auf den Markt. Aber hinter den Kulissen wurde weiter an einem legitimen Nachfolger für den C64 geschraubt. Doch echte Serienreife erreichte der C65 nie. Warum die Entwicklung & Produktion nicht weiter ging, kann man aus heutiger Sicht leicht verstehen. Der C64 kostete ca. 250 DM (ohne Floppy natürlich), der Amiga 600 ungefähr 900 DM und dazwischen wäre aus markt-strategischer Sicht kaum Platz für ein weiteren Computer in der Produktpalette gewesen. Der eigentliche Grund wird wohl gewesen sein, daß man sich nicht selbst Konkurrenz machen wollte. Einen guten 8 Bit-Rechner auf der einen, und einen äähm... nicht ganz so guten 16-Bitter (Amiga) auf der anderen Seite.
Der Commodore-Ingenieur Fred Bowen meinte auf die Frage nach gravierenden Fehlern, die die Produktion gestoppt hätten (Hardware-Design-Fehler ect.): "Wenn es bloß Softwarefehler gewesen wären, hätte man den C65 sicher schon verkauft...". Der Zeitpunkt für eine Markteinführung war nach 1990 schlicht und ergreifend verpaßt. Und bis 1990 hat man den C65 halt nicht auf dem Markt gekriegt, technisch noch in der Beta-Phase, noch weit entfernt von der Marktreife. Doch wie muss man sich den C65 vorstellen? Hier ein paar technische Daten:
Prozessor: 65CE02 (3,54 MHz)
RAM: 128 KB (erweiterbar bis auf 8MB) ... nicht schlecht für 1990 ;)
ROM: 128 KB, mit Basic V10 (der C64 hatte noch Basic V2) und C64-Modus
Grafik: "VIC III", alle C6-Modi, Textmodus 80x25, VGA-Modus 320x200 bis 1280x200 (interlaced auch bis zu 1280x400). Das Ganze (je nach Auflösung) bis mit bis zu 4096 Farben.
Musik: Stereo-SID (also 2 SID-Chips... also 6-Kanal Stereo)
Disk: 3,5 Zoll (1 MB je Disk ...konnte wohl auch PC-Disketten lesen...)
Von der Optik her sah das Teil wie eine Kreuzung aus Amiga und C128 aus. Links die Tastatur, rechts das eingebettete Diskettenlaufwerk. Was die Kompatibilität betrifft: Die wurde leider nie ganz erreicht. Bestenfalls 50 Prozent der C64-Programme bekommt man auch auf einem C65 zu laufen.
Fazit: Der C65 wäre eine große Chance für Commodore gewesen, und sicher hätten einige der vielen Millionen C64-User weltweit einen solchen Rechner gekauft. Aber andererseits war die Zeit der Homecomputer Anfang der 90er abgelaufen. Der PC, einst bloßes Arbeitstier, mutierte innerhalb kurzer Zeit zur Mulimedia-Klicki-Bunti-Entertainment-Maschine und als die Medien Mitte der 90er begannen, das Internet für sich zu entdecken, war's endgültig aus. Die Homecomputer und ihre Hersteller wurden von der rasanten Entwicklung überrollt und hatten kaum eine Möglichkeit zu reagieren. Commodore versuchte sein Glück im PC-Geschäft (fand es aber nicht) und versucht zeitgleich mit immer neuen Amiga-Modellen den technischen Vorsprung der PCs wettzumachen. Wahrscheinlich war dieser Versuch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Und das es der C64, nach fast 20 Jahren immer noch macht, und es immer noch eine (kleine) C64-Szene gibt (auch wenn es 1999 kaum nennenswerten Demo-Releases gab), ist schon erstaunlich...
Tomaes/TAP/WildMag/IMAgE