Scene, Kunst und Sex!
Magic van Lam
Irgendwie hängt doch alles zusammen. Die Scene ist Kunst, die Kunst hat immer eine gewisse Scene und irgendwie oder irgendwo ist auch immer Sex mit im Spiel. In diesem Artikel möchte ich dieses Thema, den Zusammenhang von Sex und Kunst in der Scene, etwas ausführlicher bearbeiten. In erster Linie müssen wir mal das Thema Sex im allgemeinen beleuchten, und deshalb will ich diese Thematik auch von Hinten aufrollen.
Alles, was in irgend einer Weise mit Sex zu tun hat (seien es Zeitschriften, Videos oder Ausstellungen über Sex), bezeichnen wir als Pornographie. Allerdings sollte man sich erst mal fragen, was Pornographie ist, und was es war. Vor 2.400 Jahren wurde das Wort Pornographie in Athen erfunden. Damals hieß es wörtlich übersetzt "Erzählungen von Huren". Was diese so alles trieben, galt zu dieser Zeit als gute Lektüre für junge Männer. Pornographie sollte vor allem Appetit auf Bordellbesuche machen - die Männer also fernhalten von ehrbaren Töchtern und Frauen.
Nach über 2.000 Jahren wurde die Sache allerdings viel komplexer. Tugendwächterei und Doppelmoral wechselten stets die Ansichten, Verbote und Vorlieben für dieses Thema, das wohl so alt ist wie die Menschheit selbst. Bis vor hundert Jahren behielt dieses Wort seine ursprüngliche Bedeutung. Alles andere, was heute unter diesem Begriff fällt, hieß früher schlicht "unzüchtige" Schrift oder Darstellung. In den letzten hundert Jahren ist aber viel passiert. 1974 wurde das deutsche Strafrecht in Sachen Pornographie reformiert. Der Gesetzgeber gab folgende Definition vor: Als pornographisch gilt danach ein Produkt in Wort und Bild, das "ausschließlich oder weitgehend den Sexualtrieb anreizen soll", daher "die sexuellen Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt", ohne "künstlerischen Wert" und unter "Hintansetzen aller sonstigen menschlichen Bezüge".
Nach dieser doch sehr unklaren Definition stellt man sich die Frage, was für wen sexuell erregend ist? Was ist grob aufdringlich und wo fängt künstlerischer Wert an und wo hört er auf?
Gehen wir wieder ein Stück in die Vergangenheit. 1559 hat Papst Paul IV einen päpstlichen Index ins Leben gerufen. Der "Index librorum prohibitorum" der Zensurbehörde der römischen Kirche war das amtliche Verzeichnis der vom Apostolischen Stuhl verbotenen Bücher. Indizierte Bücher wurden meist öffentlich verbrannt, die Autoren hatten mit Gefängnis, eventuell Tod und mit Exkommunikation (ein Ausschluss aus der Kirchengemeinschaft) zu rechnen. Die Lektüre galt als Todsünde. 1967 setzte der Vatikan den Index und somit alle Bücherverbote außer Kraft.
Gesetzlich verboten waren auch Darstellungen von Sodomie (Geschlechtsverkehr mit Tieren)
aber Bilder wie Rubens "Leda mit dem Schwan" (um 1600) sind über jeden Zweifel
erhaben.
Die Erotik inspiriert die Kunst. Und die Kunst inspiriert die Erotik. Das gleiche gilt
auch für die Pornographie, allerdings gibt es in der heutigen Pornographie sehr viele
Streitpunkte und einer der für mich größten Künstler wird von der Öffentlichkeit und
von den Behörden weltweit verachtet. Es ist der Berliner Jörg Buttgereit.
In England sind Buttgereits Filme verboten, und in Deutschland musste er lange um die
Freigabe von "Nekromantik 2" kämpfen. Die Staatsanwaltschaft warf seinem
dritten Langfilm die Verherrlichung von Gewaltdarstellungen vor. Das wies er belustigt
zurück: Von wegen Verherrlichung! Die Szenen beschönigten nur nichts. Man stellt sich
den 34jährigen Berliner als einen suizidgefährdeten Nihilisten vor, der aus irgendeinem
krankhaften Grund an eregierten oder verstümmelten Geschlechtsorganen, an Blutfontänen
oder Gedärmen Gefallen findet. Aber das Gegenteil ist der Fall. Der etwas linkische und
unauffällige Typ ist von einer jungenhaften Unvoreingenommenheit, die das Horror-Genre
vor allem als inspirierenden filmischen Kosmos begreift. Ihn reizt der "Wahnsinn des
Alltags", wie Buttgereit das nennt. "Ich entdecke zufällig eine abstruse
Geschichte, die mich irritiert. Und dann tue ich so, als sei sie normal." Buttgereit
scheint nicht einzusehen, warum bestimmte Dinge nicht inszeniert werden dürfen und
inszeniert sie deswegen auch nicht etwa nicht. Er beschreibt seine Arbeit als
"ästhetischen Anarchismus" und amüsiert sich dabei köstlich über die
Unschärfe des Begriffs. "Der Kunstfilmgucker nimmt mir übel, dass ich sein Auge
beleidige und der Horrorfan nimmt mir übel, dass soviele andere Sachen passieren."
So haben seine vier längeren Spielfilme "Nekromantik" Teil eins (1987) und zwei
(1991), sowie "Der Todesking" (1989) und "Schramm" (1993) Aufsehen
erregt. Nicht, weil sie wüste Bestrafungsphantasien ausagieren, sondern weil sie die
Abgründe menschlicher Obsessionen mit dokumentarischer Ernsthaftigkeit nachstellen.
Mitunter strecken sich Enthauptungs- oder Verstümmelungs-Szenen über mehrere Minuten.
Aus dem Schock wird eine Tortur. Ob das nun ekelhaft oder künstlerisch konsequent ist,
darüber lässt sich streiten. Die gängige Meinung lautet: So was kann nicht normal sein.
In England, wo seine Filme nicht in die Kinos dürfen sondern allenfalls auf speziellen
Kunst-Events gezeigt werden, ist jedoch gleichzeitig das einzige Buch über den als
Kultfigur verehrten Splatter-König erschienen. Manchmal hilft es, verboten zu sein. Wie
die meisten Provokateure wundert sich der blonde Hüne selbst am meisten, dass die Leute
sich von derart billigen Tricks überhaupt beeindrucken lassen. Für Buttgereit stellen
sich ganz andere Fragen: Wie erzeugt man zum Beispiel mit höchstens 45.000 Mark
glaubwürdige Horror-Effekte, die nicht bloß stümperhafte Versuche bleiben, sondern
interessant schockieren können?
Hier stellt sich auch wieder die Frage, was eigentlich Kunst ist? Was ist eigentlich in
der Scene Kunst und was nicht? Ist ein Demo, dass auf einer Party den letzten Platz belegt
weniger kunstvoll als eines, dass auf den ersten Platz kommt? Besteht Kunst daraus, alles
selber zu machen ohne auch nur eine Kleinigkeit zu kopieren? Sind Demos, die 2nd Reality
verarschen, keine Kunst, weil die Effekte kopiert, der Sound geklaut und die Bilder
verändert wurden? Ist Pornographie und Erotik keine Kunst? Bestimmt der Aufwand einer
Sache, ob es nun Kunst ist oder nicht? Ist die Technik in den einzelnen Modulen der
einzige Faktor, der ein Lied gut macht? Sind nur noch Demos mit einer fetten 3D Engine es
wert, ein "Kunstwerk" genannt zu werden, oder ist es die Grundidee, die eine
Sache zu Kunst macht.
Bücher, Gemälde, Fotos und Videos können Kunst sein oder auch nicht. Auf die Grundidee
kommt es an. Diese soll einen Menschen zum Nachdenken bringen. Ob er lacht, erstaunt ist
oder einfach nur für sich selber etwas findet oder sich selbst findet, spielt am Ende
keine Rolle. Auch nicht, wie die Kunst entstanden ist.
In der Scene gibt es einige Projekte mit sexistischen und pornographischen Hintergründen.
Zum Teil sind es Lieder, in denen ganze Szenen aus Pornofilmen vorgespielt werden. Demos
mit pornographischem Inhalt. Bei dem Demo Scoop, das ich selber in wenigen Tagen mit dem
Shadow Bandit erstellt habe, setzen wir die Spice Girls auf die Stuffe von Pornostars. Ob
diese Stufe nun höher oder niedriger liegt, überlassen wir dem Betrachter. Einen
Vergleich war die Sache auf jeden Fall wert, den tieferen Sinn soll aber jeder für sich
selber suchen.
Auf der ASM '98 belegte das Bild "Passion" den neunten Platz von 49. Der
Hintergrund ist eindeutig pornographisch. Ist es jetzt nur gut, weil es gepixelt ist oder
ist es gut, weil die Idee an sich gut ist? Zwar gebe ich zu, dass mir gepixelte Bilder
mehr gefallen als zum Beispiel gerenderte, wenn mir aber eine Idee gut gefällt, mich
etwas schockiert oder ich lachen kann, dann ziehe ich immer die Idee vor und nicht die
Technik, auch wenn sie noch so wichtig sein mag.
Sex gehört in die Scene wie in unser Leben. Zu viel gefällt keinem, deshalb öden einen
auch die ständigen "FICKEEEEN!" Schreie auf der Mekka mit der Zeit an. Auch der
hundertste "Dicke Eier!" Song hämmert wie ein Presslufthammer in meinem Kopf,
das liegt aber an der Tatsache, dass die Idee schon mehr als alt ist; nicht an der
Tatsache, dass es was mit Sex zu tun hat. Wer aber Sex in der Scene verachtet weil er meint,
es gehört dort nicht hin; wer Ideen, schockierende Bilder oder andere
"Kunstwerke" verachtet, weil er mit der Technik oder der Machart nicht
einverstanden ist, der soll einfach wegschauen und darüber nachdenken, ob er verstanden
hat, wofür Generationen vor uns gekämpft haben. Für Freiheit im Sinne der Information
und der sexuellen Bedürfnisse, auch wenn sich diese nicht immer mit denen von anderen
decken.
Es gibt auch Sachen, die mir nicht gefallen. Dennoch respektiere ich jedes Werk, solange
keiner einen ungewollten Schaden davon trägt.
"Ich bin der Überzeugung,
dass es kaum jemanden gibt,
dessen Intimleben die Welt nicht in Staunen und Horror versetzt,
wenn es über's Radio gesendet werden würde."
William Sornerset Maugham,
englischer Schriftsteller (1874-1965)